Am kommenden Sonntag finden in Polen die Wahlen des neuen Staatsoberhauptes statt. Die diesjährigen Präsidentschaftwahlen sind außerordentlich maßgebend für die zukünftige Ausrichtung der polnischen Politik.
Der zurzeit amtierende Staatspräsident Andrzej Duda von der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) muss nach zwei Amtszeiten und zehn Jahren an der Spitze der polnischen Republik den Präsidentenpalast verlassen und den Staffelstab an einen Nachfolger übergeben.
Wer dieser Nachfolger sein wird, ist noch eine große Unbekannte und zugleich ist dies von hoher politischer Relevanz. Denn der Präsident in Polen hat umfassende Kompetenzen, die eine bedeutende Gegenkraft zur Regierung darstellen kann.
Solch eine Gegenkraft bildete Andrzej Duda in den vergangenen Monaten gegenüber der seit dem 13. Dezember 2023 amtierenden Koalition aus der liberalen Partei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska), Polska 2050, der Polnischen Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe) und den Linken. Er konnte zahlreiche Gesetzgebungen blockieren, die die polnische Politik der westlich-europäischen linken Weltanschauung angleichen würde.
Mit den Präsidentschaftwahlen am kommenden Sonntag könnte sich diese Konstellation verändern. Laut Erhebungen wird es zu einer Stichwahl zwischen dem Kandidaten der regierenden Partei PO – Rafał Trzaskowski – und dem Bürgerkandidaten Karol Nawrocki, der von der stärksten Oppositionspartei PiS unterstützt wird, kommen.
Um die Präsidentschaftwahlen zu gewinnen, muss ein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten. Sollte dies im ersten Wahlgang keinem der Kandidaten gelingen, wird es am 1. Juni zu einer Stichwahl zwischen den beiden führenden Kandidaten kommen. Der Präsident wird in Polen in direkter Wahl von den Bürgern gewählt.
Die Rolle des Präsidenten Polens ist relativ weitreichend: Er übernimmt u.a. die Funktion des Oberbefehlshabers der Streitkräfte, ihm obliegt das Veto-Recht, er nominiert hohe Staatsbeamte und repräsentiert das Land auf internationaler Ebene.
Der Präsident hat somit großen Einfluss auf die Gesetzgebung und politische Ausrichtung des Landes. Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen sind nicht nur in Hinblick auf den in der mit Polen grenzenden Ukraine andauernden Krieg und der damit verbundenen Sicherheitsaspekte von geraumer Bedeutung, aber auch, da viele Themen außerordentlich emotional aufgeladen sind – sei es die Migrations-, EU-, Klima-, Bildungs-, Wirtschafts- oder Abtreibungspolitik. Die Regierungs- und Oppositionsparteien haben grundverschiedene Programme und das Parlament besteht aus Repräsentanten diverser politischer Lager. Einzelne Stimmen haben einen maßgeblichen Einfluss auf wichtige Entscheidungen und damit auf wesentliche Entwicklungen. So haben z.B. in der Abstimmung über die Liberalisierung der Abtreibung 218 Gegenstimmen gegenüber 215 Ja-Stimmen für die Beibehaltung der bestehenden, auf europäischer Ebene außerordentlich Kinderschutzzentrierten rechtlichen Regelung gesorgt. Ein Beispiel für die umfassende Kompetenz des Präsidenten war in der Vergangenheit Andrzej Dudas Veto gegen den allgemeinen, rezeptlosen Zugang zur Pille danach für Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr.
Auch die 13 Präsidentschaftskandidaten repräsentieren ein außergewöhnlich breites Spektrum an gesellschaftlichen Ansichten. Hier stellen wir sie kurz vor:
Rafał Trzaskowski: amtierender Bürgermeister Warschaus, zweiter Vorsitzender der liberalen Bürgerplattform (PO). Er gilt als pro-europäisch, unterstützt sexuelle Minderheiten und spricht sich für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts aus. Obwohl er die restriktive Migrationspolitik der PiS kritisierte, hat er sich während des Wahlkampfs mehrmals für mehr Kontrolle ausgesprochen.
Karol Nawrocki: amtierender Präsident des Instituts für Nationales Gedenken, Doktor der Geisteswissenschaften, parteilos, unterstützt durch die rechts-konservative stärkste Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit, der aufgrund einer Maßnahme der Regierung die Finanzierung des Wahlkampfs nicht anerkannt worden ist. Als zentrales Thema in seinem Wahlkampf bezeichnet Nawrocki die Sicherheitspolitik. Vor einigen Tagen hat er sich mit Donald Trump im Weißen Haus getroffen. Er ist Abtreibungsgegner und unterschrieb eine Deklaration, in Einklang mit katholischen Werten zu handeln. Nawrocki ist Gegner des Europäischen Grünen Deals, der Einführung des Euro und des Migrationspaktes.
Sławomir Mentzen: Kandidat der rechtskonservativen Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit, Parlamentarier, Doktor der Wirtschaftswissenschaften, Unternehmer. Er ist entschiedener Abtreibungsgegner. Er betreibt eine eigene Brauerei und spricht sich für eine liberale Wirtschaftspolitik aus. Besonders betont er die Souveränität und Unabhängigkeit, eine starke Armee und Marktwirtschaft. Er verteidigt das Bargeld sowie niedrige Steuern und ist Gegner der Europäischen grünen Deals.
Magdalena Biejat: Kandidatin der Linken, amtierende Senatorin, Befürworterin der Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und von Homo-Ehen.
Szymon Hołownia: amtierender Sejmmarschall, Kandidat der Zentrumspartei Polska 2050, wollte mal Priester werden und verbrachte mehrere Jahre im Priesterseminar bei den Dominikaner. Er schrieb einige religiöse Bücher und war Fernsehmoderator. Hołownia möchte ein Handyverbot in Grundschulen einführen und spricht sich für die Liberalisierung des Abtreibungsverbots aus.
Adrian Zandberg: Doktor der Geisteswissenschaften, Parlamentarier, Mitglied der Partei Zusammen (Razem). Er ist Abtreibungsbefürworter und legt großen Fokus auf die Gesundheits- und Sozialpolitik.
Grzegorz Braun: Kandidat der traditionell-konservativen Konföderation der Polnischen Krone, Mitglied des Europaparlaments, zugleich entschiedener EU-Kritiker. Er spricht sich für den Austritt Polens aus der EU, für den Waffenbesitz, die Todesstrafe und entschieden gegen Abtreibung, in vitro oder Euthanasie aus. Er ist Bürokratiegegner und möchte eine Vereinfachung des Steuersystems. Braun heiratete in der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Er ist bekannt geworden durch nonkonformistische Aktionen, wie z.B. das Löschen von Chanukkah-Kerzen im polnischen Parlament.
Joanna Senyszyn: Professorin der Wirtschaftswissenschaften, unterstützt von den Linken, klare Abtreibungsbefürworterin bis zur 12. Schwangerschaftswoche
Krzysztof Stanowski: Youtuber und Betreiber einer Online-Plattform, kandidiert zum Präsidenten, um im Rahmen des Wahlkampfs direkt an Diskussionen teilnehmen zu können. Bei den Debatten provoziert er die anderen Kandidaten und zeigt auf ironische Weise Unstimmigkeiten auf. Sein Publikum besteht vor allem aus dem nationalen, rechten Flügel. Er möchte nicht gewählt werden. In einer Debatte sprach er sich ironisch für ein Recht auf Abtreibung bis zum 14. Lebensjahr auf, denn das sei ja auch nur ein 14-jähriger Zellklumpen. Damit wollte er die Absurdität der Argumentation aufzeigen.
Marek Jakubiak: Abgeordneter, Unternehmer, gehört zu den Freien Republikanern im polnischen Parlament. Er repräsentiert den rechten, national-konservativen Flügel, spricht sich für mehr Volksabstimmungen, eine Modernisierung der Sicherheitspolitik, Unterstützung für die Landwirtschaft und eine einfachere Steuerpolitik und unternehmensfreundlichere Wirtschaftspolitik aus. Jakubiak ist Abtreibungsgegner.
Artur Bartoszewicz: parteilos, Doktor der Wirtschaftswissenschaften, konzentriert sich in seinem Programm auf der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Er steht dabei besonders für kleine Unternehmer ein. Er spricht sich für den Verbot von Pornografie im Internet aus.
Marek Woch: parteiloser Unternehmer, unterstreicht in seinem Wahlkampf immer wieder, dass er vom Dorf kommt, zahlreiche Geschwister hat und einfacher Arbeiter war, der erst später das Studium aufgenommen und zwei Doktortitel erlangt hat. Zu seinen Hauptpostulaten zählt die Stärkung der Armee, die Verbesserung der Gesundheitspolitik, die Unterstützung der Landwirtschaft sowie erneuerbare Energien.
Maciej Maciak: parteiloser Kandidat, der laut eigenen Angaben den Frieden in den Fokus seines Wahlkampfes stellt. Er ist aufgrund seiner prorussischen Postulate und Sympathie zu Putin sehr umstritten.